Kieferorthopädie bei Erwachsenen – ein aktueller Überblick

Kieferorthopädie bei Erwachsenen – ein aktueller Überblick

26-02-2020

Die Erwachsenenkieferorthopädie hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt da heute mit der Aligner- und Lingualtechnik fast unsichtbare Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zur Behandlung von Jugendlichen bringt die kieferorthopädische Behandlung erwachsener Patienten spezielle Herausforderungen mit sich.

Die Hauptindikation für eine kieferorthopädische Behandlung ist bei Erwachsenen die ästhetische Korrektur von Eng- und Lückenständen und die Vorbehandlung im Rahmen einer  implantologischen oder prothetischen Therapie. Das heißt, entweder auf Wunsch des Patienten – falls dieser mit der Ästhetik seiner Zähne unzufrieden ist; oder im Rahmen einer prothetischen Therapie – falls eine implantologische Behandlung aufgrund der aktuellen Gegebenheiten nicht möglich ist.

Bei der Behandlung erwachsener Patienten gibt es heute keine direkte Altersbeschränkung. Die wichtigste Voraussetzung ist allerdings immer ein entzündungsfreies Parodontium. Eine kieferorthopädische Behandlung kann parodontalen Erkrankungen durch Auflösung von starken Engständen vorbeugen, um dem Patienten eine suffiziente Mundhygiene zu ermöglichen. Aus diesen Gründen ist die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit aller zahnmedizinischen Fachbereiche in der Erwachsenenkieferorthopädie von zentraler Bedeutung. Während Jugendliche meist keine Vorerkrankungen aufweisen, ist das Spektrum der allgemeinzahnärztlichen Erkrankungen bei Erwachsenen größer und bringt deshalb auch größere Herausforderungen mit sich. Im Vordergrund stehen hierbei vor allem parodontale Schädigungen und funktionelle Störungen. Oft liegen schon Rezessionen vor oder die Zahnbeweglichkeit ist eingeschränkt.

Bei Erwachsenen kann man verschiedene Altersgruppen unterscheiden: Bei jungen Erwachsenen im Alter von 20 bis 30 Jahren liegen meist noch keine parodontalen und funktionellen Probleme vor. Die kieferorthopädische Behandlung erfolgt meist aus ästhetischen Gründen, oft im Rahmen einer Rezidivtherapie. In der Gruppe der 30 bis 50-Jährigen sind bereits parodontale und funktionelle Erkrankungen vorhanden, die in der Gruppe der über 50-Jährigen stärker ausgeprägt sein können. Jedoch ist generell – mit entsprechender Sorgfalt – eine kieferorthopädische Therapie in allen Altersgruppen möglich. Durch die Ausdehnung der zahnmedizinischen Prophylaxe in den letzten Jahrzehnten verzeichnen ältere Erwachsene einen längeren Zahnerhalt und somit ist eine Zunahme der Nachfrage zu beobachten. Man spricht heute bei Erwachsenen von einer sogenannten Gebissalterung, welche sich durch progrediente Lückenoder Engstände auszeichnet.

Trotz dieser Herausforderungen ist die Behandlung erwachsener Patienten nicht weniger reizvoll: Erwachsenentherapien sind spezieller, aber oft ist es einfacher mit Erwachsenen als mit Jugendlichen zu arbeiten. Es ist faszinierend, wenn Patienten, die einen hohen Leidensdruck aufgrund ihrer Zahnfehlstellung haben, danach wirklich glücklich sind. Der psychologische Faktor und die Tatsache, dass Kieferorthopädie bei Erwachsenen eine Privatleistung ist, erhöhen zudem die Compliance.

Patient 2 Lückenstände, vorher und nachher

Patient 2 Lückenstände, vorher und nachher

Therapien

In der Erwachsenenkieferorthopädie gibt es momentan drei grundlegende Therapiemöglichkeiten: die klassische Therapie mit Brackets auf der Innen- (Lingualtechnik) oder Außenseite der Zähne und die Alignertherapie. Letztere spielt in der Kieferorthopädie allgemein – und speziell bei der Erwachsenentherapie – eine zunehmend wichtigere Rolle als Therapiealternative. Ob Aligner in Zukunft alle klassischen Behandlungskonzepte ablösen, ist fraglich, da bei festsitzenden Apparaturen die Compliance weniger wichtig ist und manche Zahnbewegungen schneller durchführbar sind. Mit einer Alignerbehandlung ist heute fast alles machbar. Manchmal jedoch sollte der erfahrene Kieferorthopädie sein konventionelles Portfolio einsetzen, um die Behandlung zu verkürzen.

Wie in allen Bereichen der Zahnmedizin ist die zunehmende Digitalisierung auch in der Kieferorthopädie das spannende Thema der letzten Jahre. Dies gilt sowohl für die Alignertherapie als auch für die klassische Behandlung mit Brackets. Mittlerweile kann der gesamte kieferorthopädische Workflow digital bewerkstelligt werden – von initialem Scan, über das Drucken von Modellen am 3-D-Drucker bis hin zur dreidimensionalen Positionierung von Brackets. Die Tatsache, dass sich der digitale Workflow in der Praxis bisher nur in der Alignertherapie durchgesetzt hat, liegt heute nicht an den fehlenden technischen Möglichkeiten, sondern daran, dass die Kostenerstattung durch die Krankenkassen in vielen KZV-Bereichen nicht möglich ist.

Während die transparenten Schienen zum Portfolio einer modernen KFO-Praxis dazugehören sollten, werden sie in der Wissenschaft aktuell noch umfangreich untersucht. An vielen Hochschulen wird die Alignertherapie derzeit noch nicht gelehrt. Die Behandlung mit Alignern wird aktuell von vielen Zahnärzten und Kieferorthopäden als einfach angesehen: “Die Planung macht ja der Computer und ich muss mich um die Biomechanik nicht mehr kümmern.” Misserfolge sind somit vorprogrammiert und diese sorgen für den teilweise schlechten Ruf der Aligner-behandlung.

Deshalb ist es besonders wichtig, das Thema umfangreicher wissenschaftlich zu beleuchten. Die Behandlung mit Alignern oder auch mit Lingualbrackets erfordert klinische Erfahrung, um Misserfolge zu vermeiden. Die Kräftesysteme sind anders als bei konventionellen Bracketsystemen, jedoch erkennt man nach einiger Zeit die gleichen Gesetze der Biomechanik. Aus diesem Grund sollten sich Kolleginnen und Kollegen intensiv mit der Digitalisierung der Kieferorthopädie und der Alignertherapie auf Fort- und Weiterbildungen auseinandersetzen, denn die spannende und digitale Zukunft der Kieferorthopädie hat bereits begonnen.

 

Autor: Dr. Lothar Huck Kieferorthopäde an der Zahnklinik ABC Bogen in Hamburg

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