Antibiotika in der Parodontitistherapie – Interview mit Prof. Dr. Dr. Thomas Beikler

Antibiotika in der Parodontitistherapie – Interview mit Prof. Dr. Dr. Thomas Beikler

29-05-2018

Prof. Dr. Thomas Beikler spricht über den Sinn und „Unsinn“ einer zahnärztlichen Antibiotika-Therapie. Was ist das Ziel der Therapie, worauf sollte der Zahnarzt bezüglich der Wirkstoffe bei der Auswahl der Antibiotika achten, wie schätzt man Risiko versus Nutzen ab und wann ist der richtige Zeitpunkt. Diese und andere Fragen beantwortet er im Gespräch mit Fachjournalistin Annett Kieschnik für Dentista und in seiner Online-Fortbildung.

Herr Prof. Beikler, Antibiotika-Vergabe nach dem Gießkannen-Prinzip! Wie stehen Sie zu dieser Aussage? 

Antibiotika nach dem Gießkannen-Prinzip zu verteilen, entspricht in keiner Weise einem verantwortungsvollen (zahn)-ärztlichen Vorgehen. Eine Antibiose sollte nie Routinemaßnahme sein, sondern bedarf einer klaren medizinischen Indikation. Ist diese gegeben, kann die Antibiose eingeleitet werden – zielgerichtet!

Was ist das grundsätzliche Ziel einer Antibiotika-Vergabe?

Mit Antibiotika wird versucht, dem Körper zu helfen, bakteriell bedingte Erkrankungen zu bekämpfen. Im besten Fall wird der entsprechende Erreger abgetötet. Der Körper erhält damit die Möglichkeit, die Infektion und die damit einhergehende Entzündung zu beherrschen. In der Parodontologie, wo es in der Regel nicht um lebensbedrohliche Erkrankungen geht, gilt es, die bedrohlich angestiegene bakterielle Resistenzlage und Entwicklung zu bedenken. Der Einsatz von Antibiotika muss gerade in diesem Kontext unter einer kritischen Risiko-Nutzen Abwägung erfolgen.

Wann ist bei einer Parodontitis eine zur mechanischen Therapie unterstützende Vergabe von Antibiotika indiziert?

Sie sprechen es in der Frage bereits an. Im Rahmen der Parodontitis-Therapie sind Antibiotika – wenn überhaupt – nur unterstützend also adjuvant anzuwenden. Die gute Nachricht: Die meisten der Patienten (mehr als  90 Prozent) benötigen keine Antibiotika. Eine Antibiotika-Vergabe ist nur bei einer kleinen Anzahl von Patienten indiziert, z. B. bei einer schweren generalisierten chronischen bzw. bei aggressiven Formen einer Parodontitis oder bei immun-inkompetenten Patienten. Hier kann eine adjuvante systemische Antibiotika-Therapie begleitend zur mechanischen Therapie und –besonders wichtig –  nach der daraus resultierenden Zerstörung des Biofilms sinnvoll sein.

Worauf sollte der Zahnarzt bzgl. der Wirkstoffe bei der Auswahl von Antibiotika achten?

Auch hier ist zielgerichtet vorzugehen. In der Zahnmedizin häufig verordnet wird der sogenannte „van-Winkelhoff-Cocktail“, eine Kombinationstherapie aus Amoxicillin und Metronidazol. Von der alleinigen unkritischen Anwendung dieser Kombination bin ich kein allzu großer Freund. Es gibt zwar viele Berichte darüber, dass Amoxicillin und Metronidazol gut wirken. Doch nur weil es viele Berichte gibt, heißt das noch lange nicht, dass dies auch tatsächlich die „beste“ Kombination ist. Generell gilt, dass keine neuartigen Breitspektrum-Antibiotika oder sog. Reserveantibiotika verordnet werden sollen. Diese sollten grundsätzlich lebensbedrohlichen Krankheiten vorbehalten sein. Betrachten wir es doch realistisch: Wir behandeln „nur“ Zähne und jede Antibiotika-Vergabe kann potenziell Resistenzen auslösen. Resistente Keime können allerdings in bestimmten Situationen lebensbedrohliche Folgen haben, dessen sollten wir uns als Zahnmediziner immer bewusst sein. Also wenn Antibiotika, dann sollten wir uns auf „alte“ Antibiotika konzentrieren. Dies auch auf die Gefahr hin, dass möglicherweise bereits gegen diese „alten“ Antibiotika resistente Keime in der Mundhöhle oder Tasche siedeln.

Also Risiko versus Nutzen?! Welche Nebenwirkungen von Antibiotika erachten Sie als besonders gefährlich?

Antibiotika sind keine „Bonbons“! Zusätzlich zur Problematik der Resistenzentwicklung haben diese aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften und der Interaktion mit anderen Medikamenten zahlreiche Nebenwirkungen. Das Nebenwirkungsspektrum kann von Kopfschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Sehstörungen, Hautirritationen, Lichtallergie bis hin zu Störungen der Hämatopoese oder zum anaphylaktischen Schock reichen. Nochmals sei betont: Bei Vergabe von Antibiotika im Rahmen der Parodontitis-Therapie sollte auf bewährte Medikationen gesetzt werden. Hier weiß man, dass diese in der Regel gut verträglich sind.

Wann ist bei einer Parodontitis der richtige Zeitpunkt für den Beginn der Antibiotikatherapie?

Begonnen werden sollte direkt im Anschluss an die zahnärztliche mechanische Intervention. Wird direkt nach der mechanischen Reinigung bzw. dem supra- und subgingivalen Debridement im Sinne einer Full-Mouth-Disinfection (gesamte nichtchirurgische Therapie innerhalb von 24 h) mit der Antibiotikavergabe begonnen, kann man sicher sein, dass der Biofilm in allen Bereichen zerstört ist und die Antibiose auch tatsächlich wirkt.

Wie unterscheidet sich hinsichtlich des zu erwartenden Ergebnisses eine systemische Antibiotika-Verabreichung von der lokalen Therapie?

Es gibt zwar wissenschaftlich signifikante Unterschiede, die jedoch klinisch nicht allzu relevant sind. Bei dem Vergleich muss beachtet werden, dass bei der lokalen Antibiose am Wirkort eine enorm hohe Konzentration des Wirkstoffs vorliegt. Problem ist allerdings, dass bei einem übermäßigen Einsatz von lokalen Antibiotika u.U. systemisch derart niedrige Antibiotika-Konzentrationen erreicht werden, die nicht mehr antibiotisch (subantimikrobiell), dafür allerdings resistenzinduzierend wirken. Grundsätzlich gilt zu sagen, dass weder mit einer lokalen noch mit einer systemischen Antibiose eine Heilung erreicht werden kann.

Demzufolge ist die lokale Vergabe auch kein Ersatz zur mechanischen Therapie?

Nein! Ganz und gar nicht. Auch vor einer lokalen Antibiose muss im Vorfeld der Biofilm zerstört werden. Die Entzündungswerte verringern sich zwar vorübergehend, aber es ändert an dem eigentlichen Problem nichts. Die lokale Vergabe ist keine kausale Therapie, sondern bestenfalls eine symptomatische Therapie, wenn nicht chirurgisch interveniert werden kann.

Wann empfehlen Sie eine mikrobiologische Testung als unterstützende Diagnostik?

Das ist immer empfehlenswert, wenn eine Antibiose vorgenommen werden soll. Um nicht „blind“ zu agieren, müssen wir wissen, gegen welche Keime angekämpft werden soll. Natürlich handelt es sich im Mund um ein großes Mikrobiom. Interessanterweise sind es neusten Erkenntnissen zufolge die klassischen parodontopathogenen Keime, die das gesunde Mikrobiom umkippen lassen. Betrachten wir es aus medizinischer Sicht. Ein Mediziner testet zunächst den Ist-Zustand beim Patienten – sofern kein Notfall vorliegt – und wählt erst daraufhin ein Antibiotikum aus. Eingedenk der potenziellen Komplikationen mit Antibiotika sowie eingedenk der Tatsache, dass es sich um eine elektive und keine lebenserhaltende Therapie handelt, sollten wir uns auch in der Parodontologie Zeit nehmen und basierend auf objektiven Indizien die Medikation wählen.

Wer nimmt die mikrobiologische Testung vor und worauf sollte geachtet werden?

In der Regel sind es molekularbiologische Untersuchungen. Wir machen dies bei uns an der Klinik selbst. Zudem gibt es eine Reihe medizinischer Labore, die mit relativ wenig Rechercheaufwand gefunden werden können. Der Zahnarzt sollte wissen, dass für ein aussagekräftiges Ergebnis eine Probe aus dem Mund des betroffenen Patienten genügt. Die Entnahmestelle sollte die supra- und subgingivale Plaque der jeweils tiefsten Tasche pro Sextant sein. Vom jeweiligen Labor werden zusammen mit dem Testergebnis oft Empfehlungen gegeben, welches Antibiotika zum Bekämpfen des jeweiligen Keims sinnvoll sein kann.

Was können die Teilnehmer von Ihrem Online-Seminar bei E-WISE erwarten?

Im Seminar erhält der Teilnehmer einen klinischen Fahrplan zum verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika. Es werden Vorgehensweisen für den Praxisalltag gegeben und medizinische Hintergründe dargelegt. Das Schöne am Online-Seminar: Der Teilnehmer profitiert von einer enorm intensiven Wissensvermittlung –  das Seminar kann z. B. in mehreren Sequenzen angeschaut werden, es gibt Lernkontrollen und man kann ggf. schwierige Passagen wiederholen lassen. Wer im Praxisalltag mit Antibiotika arbeitet, sollte wichtige grundlegende Fakten kennen und diese werden im Online-Seminar komprimiert vermittelt.

Prof. Dr. Dr. Beikler forscht, lehrt und praktiziert als Humanmediziner und Fachzahnarzt in der Parodontologie. Als Dozent ist er durch seine inspirierenden Vorträge anerkannt. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Forschung auf dem Gebiet der Immunologie und Mikrobiologie parodontaler Erkrankungen. Für E-WISE hat er ein Online-Seminar zur Antibiotika-Therapie erstellt, welches von den Pathogenen, Wirkstoffen, Indikationen und Nebenwirkungen bis zur mikrobiologischen Diagnostik und Therapie reicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Annett Kieschnick, Fachjournalistin, Berlin
Quelle: Das Interview erschein in der Dentista 02/2018. (29.05.2018)
Die Online-Fortbildung ist mit 2 CME-Punkten zertifiziert. Die Seminardauer beträgt ca. 70 Minuten.

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